Betriebsbedingte Kündigung in den Niederlanden

In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird uns häufig die Frage gestellt, wie eine betriebsbedingte Kündigung in den Niederlanden vor sich geht. Was muss ich beachten, wenn es wegen Umsatzrückgang einen Wegfall von Arbeitsplätzen gibt? Wie geht man vor, wenn Abteilungen geschlossen oder Tätigkeiten verlagert werden? Welche Rolle hat der Betriebsrat? Wann kommen die Gewerkschaften ins Spiel?

Wichtig ist: erst informieren, dann handeln. Fehler sind schnell gemacht und können teuer werden.  Die wichtigsten Schritte bei betriebsbedingten Kündigungsmaßnahmen in den Niederlanden stellen wir in diesem Newsletter dar.

Kündigungsgenehmigung erforderlich

Wichtiger Ausgangspunkt ist, dass in den Niederlanden eine Kündigungsgenehmigung des UWV zwingend erforderlich ist, um betriebsbedingte Kündigungen aussprechen zu können. Das Kündigungsgenehmigungsverfahren ist eine Vorab-Prüfung, ob die Spielregeln eingehalten wurden, die Kündigungsvoraussetzungen vorliegen und die richtige ‚Sozialauswahl‘ vorgenommen wurde.

Die Kündigungsgenehmigung wird individuell für jeden einzelnen Arbeitnehmer beim UWV beantragt. Der Begründungsaufwand ist recht hoch. Insbesondere an eine zahlenmäßige Unterbauung eines Arbeitsplatzabbaus wegen schlechter Finanzlage werden hohe Anforderungen gestellt.

Die betroffenen Arbeitnehmer erhalten Gelegenheit, auf die Anträge zu reagieren. Damit ist das Kündigungsgenehmigungsverfahren sozusagen ein vorausgeschobenes Kündigungsschutzverfahren. Das Verfahren dauert  - wenn die Antragsunterlagen und Unterbauung nach Beurteilung des UWV komplett sind – ca. vier bis acht Wochen.

Erst nach Erhalt der Genehmigung kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigen. Das gilt jedoch nicht, wenn ein Kündigungsverbot greift. Wichtig ist das Kündigungsverbot für kranke Mitarbeiter.

Erleichterungen beim Kündigungsschutz für Unternehmen mit wenig Mitarbeitern, wie z.B. eine Kleinbetriebsklausel, gibt es in den Niederlanden nicht.

Alternative: Aufhebungsvereinbarung

Arbeitgeber können mit den von der Entlassungsmaßnahme betroffenen Mitarbeitern auch Aufhebungsvereinbarungen schließen. Wenn die hierfür geltenden Spielregeln eingehalten werden, führt dies für die Mitarbeiter nicht zu Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld. In der Praxis wird bei den meisten Reorganisationsmaßnahmen den Abschluss von Aufhebungsverträgen angestrebt. In vielen Fällen werden betriebsbedingte Kündigungen, auch bei größeren Entlassungsmaßnahmen, über diesen Weg abgewickelt.

Um bei einer Reorganisation erfolgreich Aufhebungsvereinbarungen mit den betroffenen Arbeitnehmern zu verhandeln, stellt man ein Regelungspaket zusammen, das sich jedenfalls an den folgenden Eckpunkten orientiert: Gesetzliche Abfindung plus Kündigungsfrist plus ein finanzielles Extra, mit dem die ersparten Kosten eines Kündigungsgenehmigungsverfahrens verdiskontiert werden.

Voraussetzungen

Betrieblichen Gründe sind insbesondere der Wegfall von Arbeitsplätzen wegen einer Beendigung des Unternehmens oder einer schlechten oder sich verschlechternden Finanzlage des Unternehmens, aufgrund technologischer oder organisatorischer Veränderungen oder wegen eines Umzuges.

Weitere Voraussetzung für eine Kündigung aus betrieblichen Gründen ist, dass der betroffene Arbeitnehmer – auch nach Umschulungsmaßnahmen - nicht an anderer Stelle im Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann.

Bevor eine Kündigung festangestellter Mitarbeiter aus betrieblichen Gründen möglich ist, sind Leiharbeitsverhältnisse und befristete Arbeitsverhältnisse zu beenden.

Wen trifft die Maßnahme?  (‚Sozialauswahl‘)

Wenn von der Entlassungsmaßnahme nicht ein ganzer Standort oder eine ganze Abteilung getroffen sind, stellt sich die Frage, wie die zu kündigenden Mitarbeiter auszuwählen sind. Die niederländischen Spielregeln zur (Sozial)Auswahl sind anders als in Deutschland. In den Niederlanden spricht man auch nicht von einer Sozialauswahl, sondern von ‚Abspiegelung‘. Ziel der ‚Abspiegelung‘ ist es, dass auch nach der Entlassungsmaßnahme die Altersstruktur des Unternehmens sofern möglich erhalten bleibt. Innerhalb jeder Alterskategorie gilt ‚last in, first out‘. In sehr beschränktem Umfang sind Abweichungen möglich, unter anderem in einem Sozialplan.

 Zunächst sind die betroffenen Arbeitnehmer in Gruppen vergleichbarer Funktionen einzuteilen (z.B. alle Lagermitarbeiter, alle Mitarbeiter der Buchhaltung, alle Abteilungsleiter). Innerhalb dieser Gruppen sind dann Altersgruppen zu bilden:

15 – 24 Jahre
25 – 34 Jahre
35 – 44 Jahre
45 – 54 Jahre
55 und älter

Innerhalb der Altersgruppen werden dann die Arbeitnehmer identifiziert, die als letzte eingestellt wurden. Diese sind für die Kündigung auszuwählen.

Ein vereinfachtes Beispiel: Nach einer IT-Integration der Buchhaltung in den Niederlanden mit der Buchhaltung bei der deutschen Muttergesellschaft sind die drei bisher in der Buchhaltung beschäftigten Mitarbeiter für das verbleibende Arbeitspensum zu viel. Es gibt nur noch Tätigkeiten für eine Person. Alle Mitarbeiter in der Buchhaltung haben eine vergleichbare Funktion. Alle drei Mitarbeiter fallen in eine andere Altersgruppe. In dieser Konstellation sind zwangsweise die zwei Mitarbeiter mit der kürzesten Beschäftigungsdauer zu entlassen.  

Es gibt zahlreiche Konstellationen, bei denen das Abspiegelungsprinzip zu Komplikationen führt. Dafür gibt es sehr detaillierte Spielregeln zur Feststellung der für eine Kündigungsmaßnahme auszuwählenden Mitarbeiter. Diese sind in den ‚Ausführungsregelungen betriebsbedingte Kündigung‘ des UWV enthalten, die Gesetzeskraft haben.

Wichtig ist, dass die Auswahl der vollen Nachprüfung des UWV bei der Erteilung der Kündigungsgenehmigung unterliegt. Es gibt aber auch Möglichkeiten, um ‚mit dem System zu spielen‘ und gewünschte Ergebnisse zu erzielen. Dies erfordert in vielen Fällen jedoch eine langfristige Planung der Maßnahme.  

Gesetzliche Abfindung

Bei einer betriebsbedingten Kündigung haben alle Betroffenen Anspruch auf eine gesetzliche Abfindung. Die Abfindung berechnet sich auf der Basis der Betriebszugehörigkeit: pro Beschäftigungsjahr beträgt die Abfindung ein Drittel des Bruttomonatsgehaltes (einschließlich aller regelmäßiger Gehaltsbestandteile wie gesetzliches Urlaubsgeld, regelmäßiger Provisionszahlungen, regelmäßiger Schichtzuschläge o.ä.).

Bei Beschäftigungszeiten < 1 Jahr wird die Abfindung anteilig berechnet (1/36 pro Beschäftigungsmonat oder Teil des Beschäftigungsmonats).

Die gesetzliche Abfindung ist (im allgemeinenAllgemeinen) das Minimum dessen, was man in Aufhebungsverträgen und/oder in einem Sozialplan den betroffenen Arbeitnehmern anbietet.

Kündigungsfrist

Die gesetzlichen Kündigungsfristen hängen ab von der Beschäftigungsdauer ab und sehen wie folgt aus:

Beschäftigung < 5 Jahre: 1 Monat
Beschäftigung 5 – 10 Jahre: 2 Monate
Beschäftigung 10 – 15 Jahre: 3 Monate 
Beschäftigung > 15 Jahre: 4 Monate

Eventuell ergeben sich aus einem Tarifvertrag kürzere Kündigungsfristen. Vielleicht findet sich in Ihren Arbeitsverträgen eine verlängerte Kündigungsfrist.

Betriebsratsanhörung

Hat das betroffene Unternehmen einen Betriebsrat, ist eine Betriebsratsanhörung notwendig, bevor die Kündigungsmaßnahme durchgeführt werden kann.  Dem Betriebsrat ist jedes Vorhaben zu einer Reorganisation zur Stellungnahme vorzulegen. Der Betriebsrat hat das Recht zu einer Stellungnahme zum Vorhaben insgesamt. Er wird jedoch nicht zu den Einzelkündigungen angehört.

Wichtig ist, dass es sich noch um ein Vorhaben handeln muss. Die Stellungnahme des Betriebsrates muss noch von Einfluss sein können. Insbesondere dann, wenn Reorganisations- oder Sanierungspläne von der Muttergesellschaft gemacht werden, kommt es darauf an, zum richtigen Zeitpunkt die Betriebsratsanhörung in die Wege zu leiten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass noch keine Umsetzungsmaßnahmen getroffen werden.

Nach der Betriebsratsanhörung trifft die Geschäftsführung einen Beschluss zum Vorhaben. Sie ist in ihrer Beschlussfassung frei. Weicht der Beschluss von der Stellungnahme des Betriebsrates ab, muss man dies jedoch schriftlich zu begründen und eine Sperrfrist von einem Monat einhalten, bevor der Beschluss umgesetzt werden darf. 

Dem Betriebsrat steht bei Verletzung seiner Anhörungsrechte Rechtsschutz, auch im Wege einstweiliger Verfügungsmaßnahmen, offen. 

Massenentlassung: mehr als 20 Arbeitnehmer betroffen

Bei einer Massenentlassung gelten besondere Regeln. Eine Massenentlassung liegt dann vor, wenn ein Arbeitgeber innerhalb von drei Monaten mehr als 20 Arbeitnehmer innerhalb des Zuständigkeitsgebiets eines regionalen UWV zu entlassen beabsichtigt.

In einem solchen Falle ist das Kündigungsvorhaben vorab dem UWV anzuzeigen. Es beginnt dann eine einmonatige Wartezeit. Außerdem ist das Kündigungsvorhaben den ‚interessierten‘ Gewerkschaften anzuzeigen, die für die betreffende Branche zuständig sind. Nach dem Buchstaben des Gesetzes geht es dabei um Gewerkschaften, die mindestens zwei Mitglieder in der Belegschaft haben. Da der Arbeitgeber das selten weiß, ist es in der Praxis so, dass man in jedem Falle die beiden größten Gewerkschaften (FNV und CNV)  über das Kündigungsvorhaben informiert.  

Mit den Gewerkschaften kann über einen Sozialplan verhandelt werden, in dem neben dem Abfindungspaket z.B. auch Outplacement und Umschulung eine Rolle spielen können. Der Abschluss eines Sozialplans ist nicht zwingend. Einigt man sich mit den Gewerkschaften auf einen Sozialplan, hat dies jedoch den Vorteil, dass das UWV im Rahmen des Kündigungsgenehmigungsverfahren keine eigenständige Prüfung der Entlassungsmaßnahme und der richtigen Abspiegelung mehr vornimmt. Auch den Arbeitnehmern gegenüber hat ein solcher mit den Gewerkschaften abgeschlossener Sozialplan eine faktische Bindungswirkung: Gerichte weichen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen von einem solchen Sozialplan ab.

Oft fehlt aber die Zeit für langwierige Verhandlungen mit den Gewerkschaften oder kann man sich aus anderen Gründen nicht über einen Sozialplan einigen. Dann kann der Arbeitgeber den Sozialplan auch einseitig feststellen. Es ist dann nichts anders als ein Dokument, in dem die Kündigungsfolgen für alle betroffenen Arbeitnehmer festgelegt werden.

Der Arbeitgeber kann auch ohne Einigung mit den Gewerkschaften nach Ablauf der einmonatigen Wartezeit die Anträge zur Erteilung von Kündigungsgenehmigungen stellen.