Hilfe – mein Arbeitnehmer ist krank

Krankheit, Lohnfortzahlung und Reintegration im niederländischen Arbeitsrecht

Bei den Regelungen rund um Arbeitsunfähigkeit unterscheidet sich das niederländische Arbeitsrecht erheblich von den deutschen Regelungen.  Die Lohnfortzahlungspflicht und das Kündigungsverbot für die Dauer von zwei Jahren springen am meisten heraus. In der Praxis wird auch das Thema Langzeitkrankheit und Wiedereingliederungsverpflichtungen als sehr schwieriges Thema erfahren. Konflikte sind vorprogrammiert und teure Fehler sind schnell gemacht.

In diesem Newsletter lesen Sie mehr zur Rolle des Arbodienstes bei Krankheit, zur Lohnfortzahlungspflicht, zur Wiedereingliederung und den Verpflichtungen des Arbeitgebers, zu den Pflichten des Arbeitnehmers bei Krankheit und zum Kündigungsverbot bei Krankheit.

Krankmeldung

Für die Krankmeldung eines Mitarbeiters sollte der Arbeitgeber zu Beweiszwecken ein Prozedere festlegen. In der Praxis ist häufig vorgesehen, dass der Arbeitnehmer sich morgens vor einem bestimmten Zeitpunkt telefonisch bei seinem Vorgesetzten krank meldet und per E-Mail /Whatsapp bei einem HR-Verantwortlichen.

Kein Krankenschein, sondern Arbodienst

Einen Krankenschein gibt es in den Niederlanden so nicht. Die Begleitung und Kontrolle kranker Arbeitnehmer liegt in den Händen eines sogenannten Arbodienstes oder eines Betriebsarztes. Ein Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, einen Vertrag mit einem Arbodienst zu haben, und dies nicht erst, wenn sich der erste Krankheitsfall ereignet.

Der Arbodienst ist ein Dienstleister, zu dessen Aufgaben es gehört, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers festzustellen. Er übernimmt  die Begleitung und Kontrolle kranker Arbeitnehmer im Auftrag des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber gibt die Krankmeldung des Mitarbeiters an den Arbodienst weiter. Es ist von großer Wichtigkeit, die Krankmeldung zu dokumentieren.

Je nach den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Arbodienst nimmt der Arbodienst nach ca. drei bis sieben Tagen telefonischen Kontakt mit dem kranken Arbeitnehmer auf, und erkundigt sich nach der Art der Krankheit und der erwarteten Dauer bis zur Genesung. Der weitere Kontakt zwischen dem kranken Mitarbeiter und dem Arbodienst is abhängig von der Art und Dauer der Krankheit. Bei längerer Krankheit gehört auch die betriebsärztliche Unterstützung zu den Aufgaben des Arbodienstes. 

Der Arbodienst hält den Arbeitgeber über Dauer und Genesungserwartungen informiert. Der Arbodienst darf jedoch keine medizinische Informationen (ohne Zustimmung des Mitarbeiters) mit dem Arbeitgeber teilen.

Lohnfortzahlung

In den Niederlanden müssen Arbeitgeber kranken Arbeitnehmern das Gehalt über eine Krankheitsperiode von zwei Jahren fortzahlen. Dies gilt für alle Fälle von Arbeitsunfähigkeit, also für Ausfall aufgrund eines Sportunfalles genauso wie für eine schwere Erkrankung, einen Arbeitsunfall oder einen Burn-out.

Gesetzlich ist ein Arbeitgeber verpflichtet, um 70 % des Gehaltes bis zum sog. maximalen Tageslohn (der Beitragsbemessungsgrenze) zu bezahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze beträgt (Stand Jan. 2021) abgerundet EUR 4.890 brutto monatlich. Die Beitragsbemessungsgrenze wird zweimal jährlich durch das Sozialministerium festgestellt.

Viele Arbeitsverträge sehen vor, dass das Gehalt in den ersten drei bis sechs Monaten der Krankheit zu 100% weitergezahlt wird. In vielen  Tarifverträgen ist eine weitergehende Lohnfortzahlung  im ersten Krankheitsjahr vorgesehen.

Lohnausfallrisiko ist versicherbar

Das Risiko der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist versicherbar. Die Höhe der Prämie richtet sich nach einer Vielzahl von Faktoren, wie Branche des Arbeitgebers, Zahl und Alter der Mitarbeiter, Gesamtgehaltssumme, Krankheitsausfall in der Vergangenheit u.ä. Hierzu sollte man konkrete Angebote von Versicherern einholen.

Kündigungsverbot

Krankheit führt zu einem absoluten Kündigungsverbot. Dieses Kündigungsverbot gilt genauso wie die Lohnfortzahlungsverpflichtung für einen  Zeitraum  von zwei Jahren (104 Wochen).

Das Kündigungsverbot untersagt die Kündigung wegen der Krankheit, aber auch aus anderen Gründen, z.B. einer Reorganisation. Eine Ausnahme besteht im Falle einer vollständigen Betriebsschließung. Unter bestimmten Umständen kann es auch während der Krankheit möglich sein, ein Arbeitsverhältnis z.B. aus verhaltensbedingten Gründen, durch richterliche Aufhebung zu beenden. 

Langzeiterkrankung und Wiedereingliederung

Im Falle von Langzeiterkrankungen länger als vier Wochen hat der Arbeitgeber umfangreiche Wiedereingliederungsverpflichtungen.

Ist ein Arbeitnehmer länger als vier Wochen krank, muss die Krankheit dem UWV, der Ausführungsbehörde für die Sozialversicherungen, gemeldet werden. Gleichzeitig muss eine sog. Problemanalyse erstellt werden.  Dies macht der Betriebsarzt (des Arbodienstes). Nach spätestens acht Wochen der Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber verpflichtet, gemeinsam mit dem betroffenen Mitarbeiter einen sogenannten Handlungsplan (plan van aanpak) zu erstellen, in dem besprochen wird, wie und wann der Mitarbeiter seine Arbeit wieder aufnehmen kann, und welche Maßnahmen dafür erforderlich sind. Hierzu gehört beispielsweise die stufenweise Wiedereingliederung durch langsamen Aufbau der wöchentlichen bzw. täglichen Arbeitsleistung, zeitweise Betreuung mit anderen Aufgaben, Anpassungen am Arbeitsplatz etc. Dieser Handlungsplan ist regelmäßig mit dem Arbeitnehmer zu besprechen und anhand des tatsächlich erzielten Fortschrittes zu aktualisieren. Auch dies macht der Arbodienst.

Wiedereingliederung in der eigenen Funktion nicht möglich?

Ziel der Wiedereingliederungsmaßnahmen ist zunächst immer die Rückkehr in die eigene Funktion. Ist dies nicht möglich, muss der Arbeitgeber einen passenden Arbeitsplatz im eigenen Unternehmen schaffen und anbieten. Vom Arbeitgeber wird hierbei aktives Handeln erwartet.

Besteht im Unternehmen des Arbeitgebers keine Möglichkeit, einen passenden Arbeitsplatz zu schaffen, muss die Reintegrationsmaßnahme in einem Drittbetrieb durchgeführt werden. Hierfür gibt es besondere Reintegrationsbetriebe. In diesem Wiedereingliederungsprozess sollte sich der Arbeitgeber vom Arbodienst, von Reintegrationsberatern und von sog. Arbeitsplatzexperten (arbeidsdeskundige) beraten lassen.

Ist eine Reintegration in der eigenen Funktion nicht möglich, aber kann dem Arbeitnehmer im Unternehmen des Arbeitsgebers eine dem Grad seiner Arbeitskapazität angemessene passende Funktion angeboten werden, ist es möglich, nach  Ablauf des Lohnfortzahlungszeitraumes von zwei Jahren das Gehalt entsprechend anzupassen. Auch hier kommt es auf eine Beurteilung durch den Arbeitsplatzexperten an.   

Sanktion: Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht

Führt der Arbeitgeber die Wiedereingliederung nicht ordnungsgemäß durch, besteht das Risiko, dass das UWV die Lohnfortzahlungspflicht verlängert. Eine Verlängerung bis zu einem Jahr ist möglich.

In dieser Periode muss der Arbeitgeber dann weiter Reintegrationsanstrengungen unternehmen. Ist das Lohnausfallrisiko versichert, ist eine solche Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht nicht gedeckt.

Es ist daher von großer Wichtigkeit, alle gesetzlich vorgeschriebenen Reintegrationsschritte zu durchlaufen und auch gut zu dokumentieren. Der Arbodienst begleitet und unterstützt den Arbeitgeber hierbei.

Pflichten des Arbeitnehmers

Auch der arbeitsunfähige Arbeitnehmer hat Pflichten. Insbesondere hat er die Pflicht, an seiner Reintegration mitzuwirken und ihm angebotene passende Arbeit anzunehmen und auszuführen. Kommt der Arbeitnehmer diesen Verpflichtungen nicht nach, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Lohnzahlung auszusetzen oder u.U. ganz zu beenden. 

Reintegration und Konflikt

Langzeiterkrankung und Reintegrationsmaßnahmen führen häufig zu Arbeitskonflikten.

In der Praxis sehen wir dies vor allen Dingen dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedeliche Erwartungen über Tempo und Möglichkeiten der Wiedereingliederung haben. Auch wenn eine Wiedereingliederung am eigenen Arbeitsplatz nicht möglich ist, führt das Angebot einer passenden Funktion häufig zum Konflikt.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben in einem solchen Fall die Möglichkeit, ein sog. Expertenurteil des UWV (deskundigenoordeel) zu beantragen. Das UWV beurteilt dann z.B., ob eine angebotene Funktion tatsächlich passend ist, oder welche Wiedereingliederungsmaßnahmen ein Arbeitnehmer ausführen muss.