Neu: der Netherlands Commercial Court für englischsprachige Gerichtsverfahren
In den Niederlanden gibt es seit dem 1. Januar 2019 die Möglichkeit, rein englischsprachige Verfahren vor einem niederländischen Gericht zu führen. Mit Jahresbeginn hat der Netherlands Commercial Court (NCC) in Amsterdam für internationale Handelsstreitigkeiten seine Türen geöffnet. Er soll ausländischen Parteien eine attraktive Alternative bieten zu Schiedsverfahren oder Verfahren in anderen Ländern, insbesondere im anglo-amerikanischen Rechtsraum. Auch für deutsche Unternehmen, die Verträge mit niederländischen Partnern schließen, kann der NCC ein interessantes Forum sein. Das gilt sicherlich dann wenn sich der deutsche Heimatgerichtsstand nicht durchsetzen lässt. Auch dann, wenn Parteien eines Vertrages einen ‚neutralen‘ Gerichtsstand suchen, bietet der NCC eine interessante Alternative, z.B. zu einem Schweizer Gerichtsstand.
Vereinbarung
Der Weg zum NCC ist von den Parteien ausdrücklich im Wege einer Gerichtsstandsvereinbarung festzulegen. Auf der (englischsprachigen) Webseite des NCC findet sich eine Modellklausel. Interessant ist die Möglichkeit, auch jetzt in bereits laufenden Verfahren noch eine Verweisung an den NCC zu beantragen. Dies setzt einen übereinstimmenden Verweisungsantrag der Parteien voraus. Das wird praktisch häufig nur dann sinnvoll sein, wenn es noch keine mündliche Verhandlung gegeben hat, aber dann kann es für die Parteien effektiv sein. Auch für die Berufungsinstanz kann man sich noch auf den Weg zum NCC verständigen.
Wann ist der Weg zum NCC sinnvoll?
Ob es Vorteile bietet, sich für eine Zuständigkeit des NCC zu entscheiden, oder es stattdessen bei der ‚normalen‘ niederländischen Gerichtsbarkeit zu belassen, wird man in jedem einzelnen Fall sorgfältig prüfen müssen. Auch andere Alternativen, wie Schiedsgerichtsbarkeit oder ein anderer internationaler Gerichtsstand sind dabei in Betracht zu ziehen. Bei der Abwägung werden u.a. Kosten, die mögliche Komplexität eines Rechtsstreites und das Risiko, ob es zu überhaupt zu einem Rechtsstreit kommt, zu berücksichtigen sein.
Aus deutscher Sicht sollte man dabei im Auge behalten, dass auch die ‚normale‘ niederländische Zivilgerichtsbarkeit, sicherlich an den großen Gerichtsplätzen wie Amsterdam, Rotterdam, Arnhem unserer Erfahrung nach – die wir in zahllosen Verfahren mit deutscher Beteiligung gewonnen haben – sehr gut mit internationalen Handelsstreitigkeiten, wie etwa Streitigkeiten aus Lieferverträgen, Handelsvertreterverträgen oder Vertriebsverträgen, umgeht. Die Kenntnis des internationalen Privatrechts sowie des internationalen Zivilprozessrechts ist im allgemeinen sehr gut. Deutschsprachige Anlagen brauchen in aller Regel nicht übersetzt zu werden. An einer mündlichen Verhandlung kann man sich als deutsche Partei mit einem (guten) Dolmetscher prima beteiligen, die Kosten hierfür sind recht überschaubar. Über mögliche (psychologische) Nachteile als ‚deutsche Partei‘ braucht man sich keine Sorgen zu machen.
Für große deutsche Unternehmen mit englischsprachigen Rechtsabteilungen und international aktiven Rechtsanwälten, die es gewohnt sind, schriftliche Stellungnahmen in Englisch zu erarbeiten und englisch zu verhandeln, wird der NCC im Falle hoher Streitwerte sicherlich viele Vorteile gegenüber dem normalen niederländischsprachigen Verfahren haben. Für mittelständisch geprägte Unternehmen ist das eher fraglich. Hierbei sollte man auch berücksichtigen, dass es im niederländischen Zivilprozess in aller Regel notwendig ist, dass der Geschäftsführer, oder ein in der Streitsache zuständiger leitender Angestellte an der mündlichen Verhandlung teilnimmt. Das wird also auch bei einer englischsprachigen Verhandlung nicht immer ohne Dolmetscher gehen.
Hierunter folgen noch weitere Einzelheiten zur Organisation, zum Verfahren und zu den Kosten beim NCC.
Organisation
Der NCC ist mit zwei Instanzen eingerichtet: der NCC District Court als erste Instanz und der NCC Court of Appeal als Berufungsinstanz. Organisatorisch ist der NCC als spezielle Kammer der Amsterdamer Landgerichtes bzw. des Amsterdamer Oberlandesgerichtes eingerichtet. An die Kammer sind 6 Richter für die erste Instanz und vier Richter für die zweite Instanz (zunächst mit einem Teil ihrer Arbeitszeit) abgeordnet, hinzu kommen 3 Schreibjuristen (die die Richter, wie in den Niederlanden üblich, als eine Art wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Erstellung des Urteils unterstützen und Urteilsvorlagen schreiben). Bei den Richtern handelt es sich um ausgewählte und erfahrene Richter, die viel Erfahrung in der internationalen Handelspraxis haben.
Politik und Justiz in den Niederlanden sind ausgesprochen positiv über die Einrichtung des NCC. Der NCC soll den Investitions- und Justizstandort Niederlande im internationalen Wettbewerb stärken, so der Justizminister ausdrücklich in seiner Begründung des Gesetzesvorschlages. Man erwartet in der Zukunft jährlich ca. 100 - 125 Fälle. Auch die (internationale) Anwaltschaft in den Niederlanden erwartet einiges von dieser neuen Einrichtung.
Sprache & Kommunikation
Das gesamte Verfahren wird in englischer Sprache geführt werden, d.h. Schriftsätze werden in Englisch eingereicht, mündliche Verhandlungen finden in Englisch statt und Urteile werden in englischer Sprache abgefasst. Anlagen und Dokumente in niederländischer, deutscher oder französischer Sprache brauchen nicht übersetzt zu werden.
Die Kommunikation mit dem Gericht findet rein digital statt, derzeit noch per email, zukünftig über ein elektronisches Portal.
Verfahrensregeln
Für das Verfahren gelten ergänzend zum niederländischen Zivilprozessrecht gesonderte Verfahrensregeln, die NCC Rules of Procedure. Diese machen es u.a. möglich, dass im Wege von Regiesitzungen mit den Parteien maßgeschneiderte Verfahrensschritte abgestimmt werden (vergleichbar mit größeren Schiedsgerichtsverfahren). Auch gibt es die Möglichkeit, um einige – aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende – Verfahrensmaßnahmen anzuwenden, z.B. das Mitschneiden mündlicher Verhandlungen mit Ton/Bildaufnahmen oder die Festlegung eines gesamten Sitzungsverlaufes über einen ‚court reporter‘ (statt des in den Niederlanden üblichen verkürzten Sitzungsprotokolls). Parteien können Beweisvereinbarungen treffen, insbesondere die IBA Rules on Taking Evidence in International Arbitration für das Verfahren vor dem NCC für anwendbar erklären.
Kosten
Die Gerichtskosten beim NCC liegen deutlich höher als bei den allgemeinen Zivilgerichten in den Niederlanden. In erster Instanz sind von beiden Parteien jeweils EUR 15.000,00 zu zahlen, in der Berufungsinstanz jeweils EUR 20.000,00. Es ist politisches Ziel, dass die Verfahren beim NCC sich nach der Anlauffinanzierung selbst aus dem Gebührenaufkommen finanzieren.
Wie immer im niederländischen Prozessrecht, zahlt auch der Beklagte, der mit einem Verfahren überzogen wird, zunächst einmal Prozesskosten ein. Am Ende des Verfahrens trägt diese Kosten die gewinnende Partei, u.U. können die Kosten auch gegeneinander aufgehoben werden.
Zum Vergleich: im ‚normalen‘ Zivilverfahren fallen bei Forderungen bis EUR 100.000,00 an beiden Seiten EUR 1.992,00 und bei Forderungen über EUR 100.000,00 ein Betrag von EUR 4.030,00 an, das ist nur ein Viertel der NCC Kosten. Im Vergleich zu vielen Schiedsgerichtsverfahren und insbesondere im Vergleich mit der englischen Justiz sind die Gerichtskosten des NCC dahingegen eher günstig zu nennen.
Auch der Anwaltskostensatz liegt für Verfahren beim NCC deutlich höher als bei den gewöhnlichen niederländischen Zivilverfahren. Das schlägt sich vor allen Dingen in der Kostenverurteilung für die unterliegende Partei nieder. Es besteht die Möglichkeit, im Vorhinein Kostenvereinbarungen zu treffen. Diese werden vom NCC respektiert.
Fazit: Ob der Gang zum NCC gegenüber den normalen niederländischen Gerichten vorteilhaft ist, wird man im Einzelfall prüfen müssen. Im allgemeinen wird man als deutscher Unternehmer lieber bei seinen eigenen Gerichten am Heimatgerichtsstand bleiben wollen.
Fragen zu Handelsstreitigkeiten in den Niederlanden? Nehmen Sie Kontakt auf mit Ute Acker.